Leben bedeutet schwitzen, sei es vor Anstrengung oder Angst. „Wer psychischem Stress ausgesetzt ist, verändert seinen Körpergeruch“, „Armut stinkt“. In Martin Grubers gemeinsam mit dem „aktionstheater ensemble“ entwickelten Stück „Jeder gegen Jeden“ wird in den unangenehmen Seiten des Lebens herumgeschnüffelt. Dass es dabei mitunter recht derb zugeht liegt in der menschlichen Natur.
Als Wutbürger, Weltverbesserer, Opportunisten oder als Menschen in prekären Jobverhältnissen schwitzen sich die Schauspieler (sieben Frauen und zwei Männer) körperbetont durch den Abend. Ihre Rollen: Menschen, wie sie mit ziemlicher Sicherheit auch im Publikum zu finden sind. Vielleicht darf dieses gerade deshalb mitunter seinen „Senf“ zum Geschehen geben. Darf summen und brummen, wenn es um die gewünschten Wohnverhältnisse der Schauspieler oder um langatmige Szenen geht. Derer finden sich in den knapp 70 Minuten des Stückes allerdings gerade mal zwei – und diese sind bewusst konzipiert. Martin Gruber und sein Team sind alte Hasen im Theatergeschäft. Das Ensemble kann auf zahlreiche erfolgreiche Produktionen zurückblicken. Die entstandenen Stücke sind zumeist eine Mischung aus O-Ton- Aussagen der Beteiligten, dokumentarischem Material und Autorentexten.
Zwischen Solidarität und Achselgeruch
Ein Erfolgsrezept, dem man offensichtlich auch für „Jeder gegen Jeden“ treu geblieben ist. Das Stück funktioniert als diskursiver Dialog, der aktuelle Themen unserer Gesellschaft verhandelt: vom unterbezahlten Job-Dasein als Maskottchen einer Bank bis hin zu TTIP, CETA und Gen-Mais. Nicht selten wird dabei auch lustvoll mit Klischees gespielt. Die Sexbesessene der Runde, eine Migrantin türkischer – oder doch kurdischer Abstammung? -, ist so ziemlich alles, was man als „anständige Frau“ in einer von Männern dominierten Gesellschaft nicht sein sollte. Der domestizierte Mann holt sich seine verkümmerte archaische Energie in Form eines „Arschloch-Trainings“ zurück. Der andere träumt von einer Welt, in der eine universelle Kraft alle verbindet.
Würden Sie einem Nazi Blut spenden?, lautet eine der ersten Fragen ans Publikum. Die Meinung ist geteilt. Solidarität soll nicht erzwungen werden, alles andere hieße Gefängnis – mit nur einem Satz wird einem politischen System der Garaus gemacht.
Eine verängstigte Schauspielerin möchte nur in Ruhe gelassen werden. Der Mensch hat mit den Tücken des Alltags ohnehin genug zu tun, Solidarität ist ein großes Wort. Dafür bleibt im Alltag oft kein Platz. Oder wie fänden Sie es, wenn sie ob ihrer Größe ständig an den Achseln ihres Busnachbarn riechen müssten?
Wie gut, dass das Leben uns mit der ultimativen Waffe im Kampf gegen die Verzweiflung ausgestattet hat – der Humor. Und davon findet sich in „Jeder gegen Jeden“ reichlich. Nur gegen Ende des Stücks gibt es irgendwann nichts mehr zu lachen. Doch rechtzeitig bevor alle der Verzweiflung anheimfallen greift der Musiker hinter dem Vorhang in die Tasten. Leichtfüßig tänzelt das Ensemble zu „don’t worry be happy“ ähnlichen Klängen dahin. Es ist ein letzter Aufschrei einer Gruppe dem Untergang Geweihter – Monty Python und die Gekreuzigten von Judäa lassen grüßen.
Jeder gegen jeden
Von Martin Gruber und aktionstheater ensemble
Mit Babett Arens, Susanne Brandt, Michaela Bilgeri, Martin Hemmer, Alev Irmak, Isabella Jeschke, Alexander Meile, Kirstin Schwab und Roswitha Soukup
Noch am 29. Und 30. September 2016, 19.30 Uhr
Werk X
Oswaldgasse, 1200 Wien
www.aktionstheater.at
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